Die Rolle der Vereine

Bei unserer Sieben-Tage-Sieben-Gemeinden Tour wurde schnell klar: Die Vereine halten die Dörfer zusammen. Die alten Kommunikations- und Treffpunkte, Dorfbrunnen, Milchhäuschen, Gaststätten, sind verschwunden. Ihre Rolle übernahmen die Vereine. Und die stehen zunehmend unter Druck. Ein Blick in die Limbacher Geschichte, das Problem in Zahlen und mögliche Wege aus dem Dilemma.

„Unsere Dörfer haben in den letzten Jahrzehnten einen umfassenden Wandel ihrer Sozialstruktur durchgemacht. Eine Generation vor uns wickelten sich noch fast alle Funktionen des Lebens in der dörflichen Geschlossenheit ab. Man arbeitete im Dorf, war mit dem dörflichen Kulturangebot zufrieden und wegen mangelnder Verkehrsverbindung war das Dorf auch der geographische Mittelpunkt.

Die Industrialisierung mit einem verbesserten und vielfältigeren Arbeitsplatzangebot, die Mobilisierung und die ausgezeichneten Informationsmöglichkeiten über Fernsehen und Rundfunk haben diese dörflichen Strukturen grundlegend umgestaltet. Rathaus, Pfarrhaus und Schulhaus waren früher die drei tragenden Säulen eines Dorfes.

Mit den Reformen ab der 60er Jahre begann zuerst der Rückzug der Schule aus dem Dorf und dann folgte der des Rathauses in die Zentralgemeinde.

Mancherorts steht heute auch das Pfarrhaus leer. So entstand durch die Reformen auch ein Vakuum. Es fiel damit den örtlichen Vereinen die zusätzliche Aufgabe zu, dieses Vakuum auszufüllen.

Die Gemeinde Limbach hat die große gesellschaftspolitische Bedeutung der Vereine sehr bald erkannt und Überlegungen angestellt, wie sie ihnen bei der Erfüllung ihrer nunmehr teilweise kommunalpolitischen Aufgabe helfen kann (Aus der Festschrift „Limbach im Neckar Odenwald Kreis. 10 Jahre Gemeindepolitik seit der Reform“.“

Musikverein, Gesangsverein, Radsportverein, Kriegsveteranen und Festdamen in Limbach

Freiwillige Feuerwehr, Fußballverein, Nachbarschaftshilfe, Musikkapelle oder Museumsverein: In Deutschland gibt es knapp 620.000 Vereine. In den Städten wächst ihre Zahl, auf dem Land sinkt sie.

Holger Krimmer, Geschäftsführer des ZiviZ sagt, auf dem Land finden selbst die Freiwillige Feuerwehr und die Sportvereine immer weniger Engagierte. Und viele geben auf, weil ihnen die Bürokratie über den Kopf wächst.

Dabei sind gerade auf dem Land die Vereine oft die einzigen Strukturen, die gesellschaftlichen Zusammenhalt organisierten, heißt es in der Studie, die Krimmer mit Kollegen verfasst hat:

In Vereinen geht es um mehr als um Geselligkeit. Der Sportverein, der Bibliotheksbus oder eine Tafel kümmern sich um eine bessere Gesundheit und Bildung der Menschen. Die Studie sieht diese Angebote in vielen ländlichen Regionen in Gefahr, vor allem dort, wo viele Alte oder nur noch wenige Menschen leben. Dabei sind diese am meisten darauf angewiesen.  

Digitalisierung hilft Vereinen und kann ganze Dörfer beleben

Eine Maßnahme wäre laut der Studie: Die Vereine auf dem Land sollen sich digitalisieren. Da gehe es oft um ganz grundlegende Dinge, sagt Krimmer: Der Vorstand kommuniziert per E-Mail-Verteiler oder hält eine Sitzung als Videokonferenz ab und erspart den Ehrenamtlichen die weite Anfahrt über die Dörfer. Der nächste Schritt wäre, online um Mitglieder und Spenden zu werben, mit einer eigenen Website etwa. Das eigentliche Vereinsleben kann aber in den meisten Fällen nicht online stattfinden, sagt Krimmer – das wäre meist auch wenig sinnvoll.

Mehr darüber in der Studie des Stifterverbandes VEREINSSTERBEN IN LÄNDLICHEN REGIONEN – DIGITALISIERUNG ALS CHANCE


Sportvereine in Deutschland stehen weiterhin im Zentrum des gesellschaftlichen Zusammenlebens und fungieren als wichtiger Integrationsanker, insbesondere im ländlichen Raum. Zugleich fällt es Sportvereinen immer schwerer, Ehrenamtliche zu gewinnen. Dies sind zentrale Ergebnisse dieser im September 2024 veröffentlichten Studie, die auf einer Sonderauswertung des ZiviZ-Surveys 2023 basiert.

Sportvereine machen 22 Prozent aller zivilgesellschaftlicher Organisationen aus. In keinem anderen Feld – ob Bildung, Kultur oder Soziales – verorten sich mehr Organisationen in Deutschland. Und auch die Mitgliederstatistik des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zeigt, dass der Zuspruch und die Nachfrage nach Sportvereinsangeboten ungebrochen hoch ist. Mitgliedschaften für das Jahr 2023 ein neues 10-Jahres hoch. So meldet der organisierte Vereinssport im DOSB mit 27,8 Millionen. 

Hier scheinen vor allen die Kampagnen und Maßnahmen für den Vereinssport nach der Corona-Zeit, ihre positive Wirkung zu entfalten. Gegenläufig ist allerdings der Trend bei der Gesamtzahl der Sportvereine. 

Die Studie zeigt, dass der Anteil der Sportvereine an allen zivilgesellschaftlichen Organisationen seit 2012 von 25 auf 22 Prozent gesunken ist. Auch die Daten der DOSB-Bestandserhebung deuten im Längsschnitt auf einen leichten, kontinuierlichen Rückgang der eingetragenen Vereine von über 91.000 im Jahr 2011 auf unter 87.000 im Jahr 2023 hin. Gründe hierfür könnten Fusionen, die Bildung von Spielgemeinschaften und die Auflösung von kleineren Vereinen sein. Diese gegenläufige Entwicklung – mehr Vereinsmitgliedschaften im Sport, aber weniger Sportvereine insgesamt – gilt es in Zukunft noch stärker in den Blick zunehmen.

Im Jahr 2022 gab es in Baden-Württemberg 92.499 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter 86.903 Vereine, 3.607 Stiftungen und 1.989 andere zivilgesellschaftliche Organisationen. In den vergangenen zehn Jahren ist die Gesamtzahl der Vereine um 4.533 gestiegen. Die Gründungsdynamik ist jedoch leicht rückläufig.

»Knapp jede vierte baden-württembergische Organisation ordnet sich dem Engagementfeld der Kultur zu, mehr als in jedem anderen Bundesland. Ebenfalls beliebt sind die Engagementfelder Sport (19 Prozent), Bildung (15 Prozent) und Freizeit/Geselligkeit (10 Prozent). In kleinen Gemeinden spielen Sport und Freizeit eine wichtige Rolle, in Großstädten hingegen das Engagementfeld Bildung.»

Organisationen, die bereits lange bestehen, haben besonders häufig ein Selbstverständnis als Gemeinschaft Gleichgesinnter und als Mitgliederorganisation, neugegründete Organisationen hingegen als Förderorganisation und als Impulsgeber für sozialen Wandel.

»60 Prozent der baden-württembergischen Organisationen haben bis zu 100 Mitglieder, lediglich 15 Prozent mehr als 300. In den vergangenen fünf Jahren verzeichneten 23 Prozent der Organisationen einen Rückgang, 27 Prozent ein Wachstum der Mitgliederzahlen. »In 22 Prozent der Organisationen sind die Engagiertenzahlen gesunken, doch nur in 17 Prozent gestiegen. Besonders häufig sind die Engagiertenzahlen in kleinen Gemeinden und Kleinstädten rückläufig >>

15.547 Vereine in ländlichen Regionen haben sich seit 2006 aufgelöst und wurden aus den Vereinsregistern gelöscht. Die Auflösung von Vereinen ist damit ein vorwiegend ländliches, deren Gründung ein städtisches Phänomen. Bestehende Vereine in ländlichen Regionen kämpfen besonders häufig damit, neue Engagierte zu gewinnen. Auch ihr Bestand ist damit gefährdet.

In Vereinen geht es um mehr als Geselligkeit. Vereine in ländlichen Räumen organisieren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Engagement, Gemeinsinn und Teilhabe entwickeln sich nicht von selbst, sondern sind auf ein bürgerschaftliches Leben in der Kommune angewiesen. Das Ausdünnen der Vereinsstrukturen schwächt die Voraussetzungen, die in Regionen mit alternder, abwandernder und schrumpfender Bevölkerung Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt ermöglichen.

Vereine werden besonders wichtig, wenn Kommune und Staat Leistungen der Daseinsvorsorge nicht mehr erbringen und gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land nicht mehr gewährleisten können. Bürgerbäder und -bibliotheken, Bürgerbusse und genossenschaftlich getragene Dorfläden sind längst keine Seltenheit mehr. Häufig springen Bürgerinnen und Bürger dort ein, wo Kommune und Staat sich zurückziehen.
Studie des Stifterverbandes

Zum Hören: Der Podcast für Kommunalpolitiker

Zum Lesen: Wenig Geld, viele Ideen: Ein Dorf hilft sich selbst

Zum Sehen: WDR: Tod im Vereinsheim? Wie Vereine ums Überleben kämpfen

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