Was sind Szenarien? Und wofür sind sie gut?
Szenarien sind Geschichten über die Zukunft. Ihr Zweck liegt darin, bessere Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen. Wir wissen heute noch nicht, wie Limbach 2075 aussehen wird. Aber wir können uns verschiedene Zukünfte vorstellen, um heute die Weichen für ein besseres Morgen zu schaffen.
Szenarien sind denkbare Möglichkeiten, für die Zukunft geplante oder vorgestellte Umstände. Wirkungsvolle Szenarien sind plausibel, nachvollziehbar, gleichzeitig aber auch überraschend, neuartig und herausfordernd. Szenarien eröffnen neue Perspektiven.
CC-BY-SA-3.0-DE, User: NordNordWest
Die Zukunft des Landes
Das Dorf hat Zukunft. Landflucht, neue Arbeitswelten und demografischer Wandel treiben die Urbanisierungsraten seit Jahrzehnten nach oben. Doch jetzt zeichnet sich eine Trendwende ab: Das Land wird zum neuen Zukunftsraum. Hier entstehen technologische und soziale Innovationen, die weit über die Region hinaus wirken – Willkommen in der Progressiven Provinz!
Zukunft wird auf dem Land gemacht
Frohe Botschaft für regionale Touristiker:innen und Vertreter:innen der Regionalkultur: Der ländliche Raum gewinnt wieder an Bedeutung. Seine ureigene, naturnahe Qualität wird dank Trends wie mobiles Arbeiten immer mehr wahrgenommen und wertgeschätzt. Diese optimistische Aussicht in die nahe Zukunft wagte Zukunfts- und Trendforscher Tristan Horx
Szenarien & Schubkräfte der nächsten Jahre
1. Die Welt wird multipolar: Über Jahrhunderte dominierten Europa und die USA die globale Hackordnung. Doch die Welt wird multipolarer: die BRICS-Staaten werden zu einem wichtigen Player, Asien und Afrika werden Schwergewichte. Wie und wo positioniert sich Europa? Deutschland? Limbach?
2. My country first! Nationaler Egoismus führt zunächst zu einem jeder-gegen-jeden, mittelfristig kann daraus ein jeder-kann-mit-jedem werden. Das wird für temporäre und überraschende Allianzen sorgen.
3. Die globalen Lieferketten stehen unter Stress. China als verlängerte Werkbank und die Welt als billiger Rohstofflieferant waren für uns viele Jahre ein bequemes Ruhekissen. Doch jetzt müssen wir uns neu erfinden und auf unsere Stärken besinnen. Kreativität, Kommunikation und Schnelligkeit.
4. Digitale Innovationen verändern Wirtschaft und Gesellschaft. Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Cyberkriminalität, Desinformationskampagnen und Sabotageakte – die Summe der Veränderung scheint uns zu überfordern.
5. Wahrheit wird relativ, Stichwort fake news und alternative Fakten. Soziale Medien genießen mehr Vertrauen als die traditionellen. Warum?
6. Das Parteiensystem verändert sich. Die Mitte löst sich auf, die Ränder werden stärker. Persönlichkeiten und digitale Präsenz bestimmen zunehmend den Wahlausgang. Die Volksparteien sind im Netz kaum noch vertreten und Populisten dominieren die Wahlen. Wut macht sich breit.
7. Unsere Abhängigkeit von globalen Playern und digitalen Megastrukturen wie Google, Facebook und Amazon wächst. Während Europa sich von einer ungehemmten Regulierungs- und Verordnungswut lähmen lässt, geben andere Gas und setzen längst (gefährliche) Maßstäbe.
8. Eine Art Neo-Feudalismus macht sich breit. Politik und Superreiche bilden eine neue Allianz, Geld und Macht konzentrieren sich auf immer weniger Köpfe.
9. Die Krise ist das neue Normal. Klimaprobleme und Migration nehmen zu. Krisenkompetenz wird zu einer Herausforderung für die Verwaltung. Wir müssen ständig Szenarien durchspielen, um Lösungen parat zu haben.
10. Die Klimaveränderung ist greifbar. Mit Folgen für jede Gemeinde. Wenn es wärmer wird, speichert die Luft mehr Wasser. Die Folge sind Starkregen, Stürme und Unwetter. Vor unserer Haustür warten die Herausforderungen. Der Odenwald mit seinen Monokulturen ist gefährdet, Starkregen wird wertvolles Ackerland in die Täler spülen. Und die landwirtschaftliche Selbstversorgung ist weitgehend zum Erliegen gekommen.
11. Die digitale Kluft zwischen oben und unten, arm und reich, alt und jung wird stärker. Ein Beispiel: Laut der Digitalstudie der Postbank sind Jugendliche fast 72 Stunden pro Woche online! Das ist die Zeit, die ihre Eltern auf dem Fußballplatz, bei Freunden oder in den Vereinen zugebracht haben. Es ist eine Parallelwelt, von der viele Erwachsene kaum Ahnung und zu der sie keinen persönlichen Zugang haben. 72 Stunden pro Woche!
Wie sieht das Dorf der Zukunft aus? – Land neu denken
In der Trendstudie „Progressive Provinz – Die Zukunft des Landes“ identifiziert das von Matthias Horx gegründete Zukunftsinstitut, Frankfurt/Wien, sechs Archetype an Dörfern der Zukunft:
Typ 1: Das Downshifting-Dorf
Dörfer, die in gut erreichbarer Entfernung einer Großstadt oder eines Ballungsraumes liegen und einen radikalen Kontrast zur Urbanität darstellen. Hier ist alles beschaulicher, gemächlicher, langsamer. Hierher findet, wer einen Gang herunterschalten will, echte Entschleunigung. Landromantik im Dorf, intakte Natur um das Dorf herum, sind die Hauptattraktionen des Ortes.
Die Downshifting-Dörfer sehen zwar aus wie aus dem Bilderbuch, sind deshalb aber längst nicht aus der Zeit gefallen. Sie sind weltoffen und sogar ein wenig hip, selbst wenn die Bewohnerinnen und Bewohner das nicht so gern zugeben wollen.
Typ 2: Der kreative Hub
Hier treffen sich Individualistinnen und Individualisten mit sehr persönlichen Vorstellungen davon, wie sie sich selbst verwirklichen wollen. Die Freiheit, die ihnen das Dorf bietet, ist ein entscheidender Faktor für stadtmüde Kreativarbeiterinnen und -arbeiter, die ihrem Beruf – oder ihrer Berufung – eigentlich überall nachgehen können. Die kreativen Hubs finden sich in der Nähe größerer Städte. Kennzeichen sind Wohnformen, die das Co-Working von Anfang an mitdenken. Als kreativer Hub ist das ganze Dorf eine Netzwerkressource. Den Kreativ-Hub zeichnen neue gemeinschaftliche Wohnprojekte aus, die neuen Bewohnerinnen und Bewohner finden sich oft bereits über das Internet in der Großstadt und verwirklichen einen gemeinsamen Traum auf dem Land. Gemeinsam werden große Gutshöfe, ehemalige Krankenhäuser oder Schulen, sogar ganze Industrieareale erworben, die zusammen saniert und umgebaut und später in einer solidarischen Gemeinschaft bewohnt werden.
Typ 3: Die Einsteiger-Kommune
Menschen, die heute für eine bessere Welt kämpfen sind keine Zivilisationsflüchtigen – keine Aussteiger, sondern Einsteiger: Sie konfrontieren Ungerechtigkeit, gesellschaftliche Fehlentwicklungen und Zukunftsprobleme, indem sie die Ärmel hochkrempeln und visionäre Gegenentwürfe realisieren. Der Vorteil der Visionäre und Visionärinnen: Sie sind viele – und längst nicht mehr nur weltfremde Hippies, sondern kommen aus allen möglichen gesellschaftlichen Nischen. Die Einsteiger sind eine Community mit hohen moralischen Ansprüchen. Politische Mitbestimmung und Basisdemokratie sind Grundlage ihrer Lebensweise, ebenso das Selbstversorgerprinzip, in biologischer Landwirtschaft. Für sie ist die utopische Gesellschaft kein abstraktes Ideal, sondern gelebte Wirklichkeit.
Typ 4: Die Bio-Oase
Viele, früher kleine Biohöfe entwickeln sich zu Versorgungsknotenpunkten, die ihrer Größe nach ganzen Dörfern gleichkommen. Das sind die Bio-Oasen, aus denen heraus eine immer weiter steigende Nachfrage nach gesunden, nachhaltig angebauten und geernteten Landwirtschaftserzeugnissen bedient wird. Dabei ist der strengste Standard oftmals gerade gut genug, z.B. Demeter-Produkte. Die Höfe entwickeln sich dabei zu Treff- und Kommunikationsmittelpunkten, in die man nicht nur zum Einkaufen kommt. Es werden thematisch passende Aus- und Weiterbildungen angeboten, altes Handwerk, Kunstateliers, Gesundheits- und Entspannungskurse sowie Praxen beispielsweise von Heilpraktikern und Psychotherapeuten runden das Angebot ab.
Typ 5: Das Health Village
Nicht alle Dörfer profitieren vom Zuzug junger Familie. Das muss aber nicht negativ sein, ganz im Gegenteil, viele Senioren und Seniorinnen sind finanziell gut ausgestattet und erlebnishungrigen Free Ager. Voraussetzung für einen aktiven Lebensstil sind eine gute Vorsorge- und Gesundheitsinfrastruktur. Deshalb werden immer mehr Dörfer systematisch zu kleinen Gesundheitszentren weiterentwickelt – Health Villages, die konsequent auf den Lebenskomfort einer alternden Bevölkerung ausgerichtet sind. Die Versorgung ist dabei stets auf dem neuesten Stand der Technik und des Möglichen, vieles was in diesen Dörfern zunächst in Feldversuchen ausprobiert wird, entwickelt sich später einmal zum Standard.
Typ 6: Das Energiedorf
Ukrainekrieg, Klimawandel, Ressourcenknappheit, all das sind wichtige und gute Argumente für einen ganzheitlichen Ansatz, der einerseits Einspar-, Erzeugungs- und Abnahmepotenziale vor Ort offenlegt und andererseits die lokale Bevölkerung an dem ökonomischen Nutzen der Projekte teilhaben lässt. Energiedörfer bauen auf Nahwärmenetze, Bio-Gas, Solar und Windkraft und produzieren über den eigenen Bedarf hinaus Energie, die damit zu einem lokalen Wirtschaftsgut wird. Abwärme wird dabei beispielsweise in der Landwirtschaft oder zur Holztrocknung genutzt, regionale Wertschöpfungskreisläufe werden in Gang gesetzt. Bioenergie ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit.
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