Aus dem Lohrbacher Buch 1816/1817: „Doch gab es auch andere Zeiten, wo die Menschen und Tiere unter Hunger litten, ja sogar daran starben. Die letzten Hungerjahre waren 1816 und 1817.
Das Jahr 1816 war gekennzeichnet durch andauernde Regenfälle, unterbrochen mit furchtbaren Gewittern mit Hagelschlag. Was auf den Feldern wuchs, war nicht viel wert und wurde dazu durch Hagel zerschlagen. Etliches Getreide kam davon und hätte spät geerntet werden können, wenn nicht Schnee und Kälte allzufrüh gekommen wären.
Kartoffeln waren mißraten, doch holte man den spärlichen Ertrag unter dem Schnee hervor. Das Futter war wenig wert und führte zur Erkrankung des Viehs, Heu konnte nicht gemacht werden. Der Winter war für Menschen und Tiere furchtbar. Zu der Ernährung, die gerade ausreichte,
Menschen und Tiere am Leben zu erhalten, kam noch die Strenge und Härte des Winters. Die Gewässer froren ein, die Müller konnten das wenige Getreide nicht mahlen. In manchen Häusern waren schon noch geringe Vorräte an Spelz, Korn und Hafer von früheren Ernten. Doch bei den Armen war eben gar nichts. Hunger führte zu Krankheit und Tod. Säuglinge starben, kaum geboren, wieder dahin. Kinder schrien nach Brot, aber die Eltern konnten ihnen keines geben. Doch als die Not am größten war, war Gottes Hilfe am nächsten.
Ein schönes Frühjahr kam, Schnee und Eis schwanden, aus der Erde sproßte neues Leben. Die Menschen gingen der Nahrungssuche nach, auf den Wiesen kam Gras und Kraut hervor, alles war genießbar. Und so kam man durch, obwohl die Versorgung mit Brot sehr schlecht war. Der Mensch ist eben sehr an das tägliche Brot gewöhnt und kann es nicht entbehren.
Es klingt beinahe wie eine Mär, daß man auch Stroh, Baumrinde und andere pflanzliche Stoffe benützte, um etwas „Brotähnliches“ herzustellen. Wohl wurden die Kornkästen auf den herrschaftlichen Speichern geleert, und auch vom Ausland kam etliches Getreide per Schiff den Rhein herauf und wurde an die ärmere Bevölkerung verteilt, doch vermochte das alles nicht, dem Hunger zu wehren. Nach wie vor sah man die Menschen auf Feldern und in Wäldern auf der Suche nach eßbaren Dingen.
Man aß Blätter von Waldbäumen, die Stengel und Blätter von Sauerampfer, Wiesenbocksbart, Wegerich und Schlüsselblumen, grub auch die Wurzeln von wilden Möhren und Farnkräutern aus, um das Leben zu erhalten. Hunde und Katzen sah man keine mehr, selbst Ratten, Mäuse und Frösche wurden gegessen. Doch die Witterung war im Jahre 1817 sehr günstig, aber beinahe wäre auch in diesem Jahre wieder keine Ernte gereift, hatten doch die Menschen in ihrer Not auch das Saatgetreide aufgegessen, ebenso wie sie es mit den vom Staat gelieferten Saatkartoffeln gemacht hatten. Wenn die Regierung nicht gesorgt hätte, wäre das Jahr 1817 noch ein größeres Hungerjahr geworden als 1816.
Wie groß die Not war, sieht man daran, daß Militär eingesetzt wurde, als Saatkartoffeln verteilt wurden. Anstatt Kartoffeln zu pflanzen, aß man sie und legte anstatt der Kartoffeln Kieselsteine in den Boden. An manchen Stellen, wo die Kartoffeln schon im Boden waren, kamen Diebe in der Nacht und gruben sie wieder aus. Bei Tag und in der Nacht mußten Feldwächter die Kartoffelfluren bewachen, weil sie sonst restlos gestohlen worden wären.
In diesen beiden Jahren wurde auch das Wild in den Wäldern schonungslos dezimiert, daß es beinahe ausgerottet war. Aber auch kleinere und größere Wildvögel waren beinahe verschwunden, teils aus Mangel an Futter, teils waren ihre Brutstätten von Menschen geplündert und die alten Vögel verzehrt worden.
Nach langem, bangem Warten reifte das Getreide, es wurden die ersten Erntewagen feierlich ins Dorf gebracht. Vor den Kirchen blieb man halten und dankte öffentlich wirklich aus vollem Herzen für Gottes Gaben. Menschen waren überzeugt, daß Gott es in Händen hat, uns zu nähren oder verhungern zu lassen.
In einer alten Lohrbacher Familienbibel schrieb der Hausvater aus Anlaß der furchtbaren Hungersnot bei Menschen und Tieren nur die wenigen Worte:
„O wei, o wei! Die ganze Not kommt hier zum Ausdruck, es soll vielleicht bedeuten: Wir sündigen Menschen, wie hat uns Gott gestraft, er läßt uns verhungern, wir haben es verdient! Aber hab‘ Erbarmen mit den Tieren und unsern unschuldigen Kindlein!“
Ausschnitt aus dem Wandgemälde von Thomas ZiebARTh im Museum Wagenschwend
Im Südwesten Deutschlands hatte es wegen schlechter Witterung auch
im 19. Jahrhundert zahlreiche Missernten in der Landwirtschaft gegeben
„1805 Hungersnot durch schlechte Ernteerträge
1812 nasses, kaltes Jahr mit viel Frost und Hagelschlag
1813 viel Regen und Hagel
1814 der Sommer war sehr nass
1815 im Frühjahr langanhaltender Frost
1816 von Mai bis Juni fast täglich Regen und Gewitter,
Ende Juli sehr kalt. Die Ackerfrucht wurde nicht reif und blieb
über Winter auf den Feldern stehen; starke Mäuseplage auf den Feldern
1816/17 im Winter sehr große Hungersnot
1817 bis Ende April schneebedeckte Felder im Odenwald
1821/31 Agrarkrise durch zu große Ernteerträge ( Überschuss )
1833/36 schlechte Erntejahre
1839 schlechte Ernte durch Hagelschaden
1844 schlechte Ernteerträge
1845 wegen Kartoffelfäule sehr schlechte Kartoffelernte
1845/55 große europäische Agrarkrise ( Ernteertragsmangel )
1847 Hungersnot durch die vergangenen Missernten
Zweite Hälfte der 1870er Jahre dominierte eine ungünstige Wirtschaftslage (Gründerkrise). Die zunehmende Verknappung der Grundnahrungsmittel hatte ein stetiges Ansteigen der Preise in ganz Mitteleuropa zur Folge.
Die Bauern mussten Grundnahrungsmittel und Saatgetreide ankaufen, da die Ernte im Vorjahr zu wenig oder gar nichts einbrachte. Die Preise stiegen so hoch, dass für ein zweipfündiges Brot und ein Pfund Schmalz ein Zweitagesverdienst (60 Kruzer) eines Tagelöhners gerade mal ausreichte.
Um diese Not zu mildern, gingen die Ärmsten dazu über, Schnecken zu kochen und Brot aus Baumrinde zu backen. Nicht selten starb dem Bauer das Vieh weg, das er aus Mangel an Futter nicht mehr ausreichend ernähren konnte. Von 1805 bis 1812 stiegen in Deutschland die Konkurse der landwirtschaftlichen Betriebe um das Fünffache an.
Im Jahre 1847 waren ca. 60 % ( 47 Familien ) der Wagenschwender Bevölkerung unterstützungsbedürftig, weil sie durch die Ernteeinbußen unter die Grenze des Existenzminimums geraten waren. Acht Jahre später, im Jahre 1855, musste immer noch für acht Ortsarme der Lebensunterhalt aus der Gemeindekasse bestritten werden. Eine Person wurde mit jährlich 50 Gulden aus dem noch bestehendem kurpfälzischenm Weitvermögen unterstützt. Die Gemeindekasse hatte zur damaligen Zeit auch noch acht uneheliche Kinder mit einer Unterstützung zu versorgen.
Mitte des 19. Jh. musste im südöstlichen Odenwald fast jede zweite Familie zu den Armen gezählt werden. In Trienz, Balsbach, Sattelbach und Wagenschwend waren die verarmten Verhältnisse verstärkt, da sie schon seit den 30er Jahren des 19. Jh. dort vorherrschend waren. Diese Armut wurde im Jahre 1842 verstärkt, weil durch die verbreitete Kartoffelkrankheit in den folgenden Jahren erneut Missernten auftraten. Durch die schlechten Ernteerträge in Not geraten, haben im Jahre 1846 in Wagenschwend 55 Familien und in Balsbach 78 Familien naturale Unterstützung erhalten, die sie zum Teil zum Lebensunterhalt und zum Teil zur Aussaat verwendeten …“
Die Folge waren Deportationen und Auswanderungswellen, vor allem nach Amerika, was dort nicht immer gern gesehen war. Weiter im Text:
Was die Engländer schon im 18. Jh. im großen Umfang praktizierten, hatten die deutschen Länder und Herzogtümer im 19. Jh. übernommen. Mit der Abschiebung von Häftlingen, Strafgefangenen und Unterstützungsbedürftigen, beabsichtigten die Beamten, die Zuchthäuser, Gefängnisse und Armenhäuser des Landes zu leeren.
In der ersten Hälfte der 50er Jahre des 19. Jh. wurden vom Großherzogtum Baden 1 600 000 Gulden für die Unterstützung der über 600 000 Auswanderer ausgegeben.
Wie das Großherzogtum Baden, so förderte auch das Königreich Württemberg und das Herzogtum Hessen die behördliche Übersiedlung und Ausweisung unterstützungsbedürftiger und straffälliger Personen.
Im gelobten Land Amerika verfolgte man dieses Vorgehen jedoch mit Misstrauen, da die auf solche Weise zur Auswanderung gezwungenen Menschen doch meistens ohne Geld in den amerikanischen Hafenstädten ankamen. Oft landeten die völlig mittellosen Ankömmlinge prompt im New Yorker Armenhaus oder in einer anderen Hafenstadt.
In Deutschland entwickelte sich aber durch diese Abschiebepraxis eine deutlich entspanntere Lage. Das Großherzoglich Badische Ministerium berichtete nach einer großangelegten Räumungsaktion im Odenwald:
„ … Der Bettel hat in einem größeren Maße nachgelassen, als nach der Zahl der ausgewanderten Personen zu erwarten war, weil sich dem Bettelhaufen, der jeden Montag von Rieneck auszog und bis gegen das Ende der Woche die Umgebung in einer Entfernung von 12 Stunden und mehr bettelnd und frevelnd durchstreifte, auch Angehörige anderer Gemeinden anschlossen, die nun nicht mehr durch das böse Beispiel verleitet werden…“
Das Hungerjahr 1817 hatte einen ersten Höhepunkt für die Auswanderung im 19. Jh. gebracht. Bis Mai 1817 hatte das Großherzogtum Baden über 18 000 ausreisewillige Menschen gezählt, die mit einer Reise über den Atlantik ein neues besseres Leben beginnen wollten.
In den darauffolgenden Jahren versiegte der auswandernde Strom wieder. Zwischen 1820 und 1830 waren es nur wenige hundert Personen, die sich vom Badischen Staat lossagten und den Weg nach Amerika suchten. Weil sich die Situation im Südwesten Deutschlands in den Jahren danach nicht verbesserte, hielten viele Bewohner erneut an einer Ausreise fest. Ein Zeitgeist jener Tage, der die Auswanderung als Ursache der Überbevölkerung ansah, beschrieb die Wohnver-hältnisse in Baden wie folgt:
„… Man besuche die elenden Hütten, in denen öfters in einer einzigen Stube mehrere Familien hausen, und wo mit Kreidestriche auf der Diele das Terrain einer jeden gewissenhaft geschieden ist; wo es schon Reichtum ist, wenn eine Familie einen Tisch und Stuhl und ein jämmerliches Bett besitzt, und öfters ein einzelner Topf das Kücheninventarium sämtlicher Hausbewohner ist; wo keiner mehr als eine, oft jämmerliche Kleidung hat; die Kinder, selbst im Winter, fast nackend und blöß herumlaufen, und man niergends an den Füßen weder Schuhe noch Strümpfe sieht…“.
Ab 1830 stieg die Auswanderungszahl wieder kontinuierlich an. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte sie in den Jahren 1852 und 1854 ( 146 000 und 215 000 Ausreisende ), worauf das nächste Jahrzehnt wieder ein Abflauen zeigte ( 27 000 bis 90 000 ). In den großen Auswanderunswellen 1817, 1828, 1831 und 1848 verließen rund 740 000 Deutsche das Land. 1848 hatte das Scheitern der Revolution viele Badener zum Entschluss getrieben, da die politischen Verhältnisse fast zum Erliegen kamen, einen Antrag auf Ausreise zu stellen. Außerdem war durch die Kundschaft der Goldfunde in Kalifornien und dem damit ausgelöstem Goldrausch in den Vereinigten Staaten die Vorstellung vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ noch mehr verstärkt worden.
In den Jahren 1845 bis 1855 wanderten aus dem südlichen Odenwald in Folge der Agrarkrise offiziell ca. 15 % der Bevölkerung aus.“ Quelle: Aus- und Einwanderungen des Ortes Wagenschwend, von Wolfgang Frankhauser
Und aus dem „Festvortrag 750 Jahre Schloßau:
„In den Jahren 1783 bis 1785 brach auf Island der Laki-Krater aus. Dieser Vulkanausbruch führte zu massiven landwirtschaftlichen Einbußen und mündete unter anderem 1789 in dem Aufbegehren der Franzosen gegen ihren Sonnenkönig. Sie forderten Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit.
Die Geschichte wiederholte sich 1815, als in Indonesien der Vulkan Tambora ausbrach. Die gesamte Nordhalbkugel lag über Jahre unter einer Dunstglocke.
1816 erfroren im August die Kartoffel auf dem Feld. Um 1830 mussten viele wohlhabenden Bauern schließlich ihre Güter verkaufen. Die Not der bäuerlichen Bevölkerung spitzte sich zu und mündeten schließlich in den revolutionären Ereignissen von 1848/49, bekannt als „Badische Revolution“.
Die Bauern aus dem Raum Mudau hatten ihre missliche Situation und die Abgabenlast satt. Sie zogen in Richtung Ernsttal, wo sie die Akten des Rentamtes verbrannten. Den Schloßauern wurde zuvor vom Bürgermeister aufgetragen, keine Gewalt anzuwenden und so gingen sie erst gar nicht mit zur Revolte. Die Schloßauer waren halt schon immer anständige und friedfertige Leute (Festvortrag – 750 Jahre Schloßau).“